
Ideen für Bewegung vermitteln – Das Kinästhetik-Konzept
- Ideen für Bewegung vermitteln – Das Kinästhetik-Konzept
Aus der Bewegungsanalyse von Tänzern entstand in den 1980er Jahren das Kinästhetik-Konzept, um Menschen mit Bewegungseinschränkungen oder auch Störungen in der Bewegungsentwicklung unabhängig vom Lebensalter zu unterstützen. Dieses Konzept lässt uns menschliche Bewegungen besser verstehen. Erkenntnisse aus der eigenen Bewegungswahrnehmung helfen, Ideen zu entwickeln, um die Bewegungsfähigkeiten anderer Menschen achtsamer zu fördern.
Drei Bewegungselemente des Kinästhetik-Konzepts sind Zeit, Raum und Anstrengung. Bei jeder Bewegung beeinflussen sich diese gegenseitig. So ist es möglich, einzelne Elemente zu verändern, um eine Bewegung anders auszuführen. Hier können Sie sich dazu genauer informieren.
Bitte klicken Sie auf die Karten, um mehr zu erfahren.
Die drei Bewegungselemente beeinflussen einander, wie am folgenden Beispiel deutlich wird. Sie stehen „ganz normal“ von einem Stuhl auf, indem sie die Füße gerade aufstellen, das Gewicht des Oberkörpers nach vorne verlagern und sich aufrichten. Jetzt verändern Sie das Vorgehen:
- Die Zeit verändern: Indem Sie beispielsweise langsamer aufstehen, verändern Sie die Zeit. Zugleich beeinflussen Sie damit auch die Anstrengung. Diese nimmt dann in aller Regel zu.
- Den Raum verändern: Wenn Sie sich mit dem rechten Arm abstützen und das Gewicht des Oberkörpers auf diese Seite verlagern, können Sie zuerst die linke Gesäßhälfte vom Stuhl anheben und sich mit einer Drehung zur rechten Seite hin aufrichten. Durch die Drehung verändern Sie den Raum für die Bewegung. Zugleich beeinflussen Sie die Zeit und die Anstrengung. Denn es kann langsamer oder schneller gehen und weniger oder mehr anstrengen.
Zentrale Aspekte aus dem Kinästhetik-Konzept-System können Sie sich hier genauer anschauen.
Auf der Webseite von Kinaesthetics Deutschland – Pflegende Angehörige erhalten Sie weiterführende Informationen.
Bewegung kontrollieren
Im Alltag führen wir viele Bewegungen ganz selbstverständlich aus, ohne uns bewusst zu machen, wie komplex selbst einfache Bewegungen ablaufen. Erst wenn Beeinträchtigungen auftreten, wird deutlich, wie viel Kontrolle alltägliche Aktivitäten erfordern. Menschen kontrollieren Bewegungsabläufe durch das Sammeln von Erfahrungen, durch Übung und durch ein gezieltes Training.
Was ist Kinästhetik?
Susanne Grünewald ist Krankenschwester und seit mehr als 20 Jahren Kinästhetik-Trainerin. Unter anderem schult und berät sie pflegende Angehörige in Kursen und zu Hause.
Was ist Kinästhetik?
Vielleicht fange ich so an: Dieses Wort Kinästhetik, das kennen nicht viele. Und ich muss immer auseinanderklamüsern, das ist also ein Kunstwort. Da steckt „Kin“, die Kinetik, die Bewegung, drin. Und der zweite Teil ist „Ästhetik“, auch aus dem Griechischen, und es heißt „die Wahrnehmung“. Das heißt, nur übersetzt heißt dieses Wort „Wahrnehmung der Bewegung“. Das heißt, wenn ich das wahrnehme und wenn ich sehe, sie sitzen da und haben irgendwie die Hand am Kinn. Hey, da ist schon ganz viel möglich, weil wenn die Hand am Kinn ist, dann kann die Hand vielleicht auch das hier machen. Ja, und wenn der Kopf so nach hinten geht, dann kann er vielleicht auch trinken, ja, und das ist wirklich ein Schulen von Hingucken. Ja, und ich habe in meiner Ausbildung gelernt, es gibt Griffe, es gibt Techniken und es gibt Technik ABC. Und was mache ich dann mit dem Patienten D und E und F? Der kriegt dann auch A und B und C übergestülpt. Ja, und den anderen zu ermutigen, einfach mal zu gucken und vor allen Dingen auch erstmal auf sich selbst zu gucken. So „Wie mache ich das denn und mit welcher Spannung bin ich unterwegs oder kann ich, kann ich weich bleiben in der Bewegung?“ Weil wenn ich irgendwie fest werde, weil ich denke: „Oh, mein Mann wiegt 130 Kilo, da muss ich aber auch richtig irgendwie ran.“ Vielleicht ist es gar nicht so. Also wahrnehmen: „Wie bewege ich mich, wie bewegst du dich?“ Und dann wird‘s leichter.
Was ist das Besondere an Kinästhetik?
Der Begründer der Kinästhetik, Frank Hatch, der kommt ursprünglich aus dem Tanz. Und Tanz hat mit Leichtigkeit zu tun. Und in der Pflege ist es oft eine Schwere, die erlebt wird, aber wenn ich kinästhetisch arbeite und es ist ein Miteinander, dann komme ich mehr in die Leichtigkeit. Und es ist nicht dieses, ja, „Ich mache und du bist passiv.“, sondern ist es ein gemeinsames Bewegen und es macht einfach auch mehr Freude und es macht kreativ.
Welche Bedeutung hat Bewegungskontrolle?
Also für mich bedeutet Bewegungskontrolle, dass ich weiß, was ich tue und was mein Körper tut, und in dem Moment habe ich eine Orientierung in meinem Körper und weiß, wo es langgeht.
Wie finden Sie heraus, welche Ressourcen jemand hat?
Also unter Ressourcen verstehe ich das, was der andere kann. Und die Kunst ist eben rauszukriegen „Was kann er denn?“ Ja. Kann er den Arm nach vorne bewegen, um das Glas zu nehmen? Dann ist es super, wenn ich ihn das machen lasse, weil wenn das Glas hier steht, und er macht immer nur so, dann nützt er nicht seine Ressourcen, ja, nach vorne zu gehen. Und wenn er das jeden Tag macht, dann übt er mit dem Oberkörper nach vorne zu gehen, und mit dem Oberkörper nach vorne gehen heißt, ich kann besser aufstehen. Das brauche ich dazu. Ja? Und wenn ich die Ressourcen nutze, ist ja logisch, also ja, dann kann ich mehr selbst tun. Und je mehr ich selbst tun kann, das hat was mit Selbstwert auch zu tun und mit Selbstbewusstsein und auch mit Würde. Weil wenn ich krank werde und immer mehr abgeben muss und immer - ja, nichts mehr selbst tun kann - ja, dann verliere ich auch das Selbst - den Selbstwert. Ja, ich formuliere es noch mal so, den Selbstwert. Und wenn ich den verliere, dann glaube ich auch, dass der Wille, das wird immer weniger. Und das erlebe ich, wenn man Menschen alles wegnimmt, also vieles wegnimmt an eben auch körperlicher Bewegung, dass sie sich immer mehr zurücknehmen und auch aufgeben. Also gerade wirklich alte Menschen. Und wenn ich die fordere und ihre Ressourcen erkenne, dann ja. Und dann wird’s leichter.
Bewegung organisieren
Im Kinästhetik-Konzept-System gibt es eine einfache Unterscheidung von stabilen und beweglichen Anteilen.
Klicken Sie auf die Punkte in der Abbildung, um mehr zu erfahren.

Zwischenräume (beweglich)
Dazu gehören Hals, Achselhöhlen, Taille und Hüfte.
Beispiel
Durch die knöcherne Struktur (Rippen) und die umgebende Muskulatur (Rückenmuskulatur, Brustmuskulatur) wird der Oberkörper zu einer kompakten festen Fläche.
Körpermasse (stabil, fest)
Dazu gehören Kopf, Brustkorb, Becken, Arme und Beine.
Die Unterteilung ist hilfreich, wenn Sie erlernen, wie Sie eine andere Person in der Bewegung unterstützen können. Sie blockieren die Bewegungsmöglichkeiten einer anderen Person, wenn Sie in bewegliche Körperanteile, also die Zwischenräume, hineinfassen. Daher sollte eine gezielte Unterstützung immer an den festen Körperanteilen, also den Körpermassen, erfolgen. So helfen Sie der anderen Person, das eigene Gewicht selbstständig zu verlagern und in die Bewegung zu kommen. Dabei reduzieren Sie auch Ihre eigene Anstrengung.
Zu theoretisch? Dann ist wieder Zeit für eine Selbsterfahrung.
Probieren Sie es aus!
Sie benötigen für diese Selbsterfahrung eine Liegefläche, beispielsweise das eigene Bett. Bitte beobachten Sie bei der folgenden Übung genau, was mit Ihren festen und beweglichen Körperanteilen passiert.

Legen Sie sich entspannt auf den Rücken. Spüren Sie, wie und wo Ihr Gewicht aufliegt. Bewegen Sie sich nun in die Seitenlage. Beobachten Sie sich bei der Bewegung und spüren Sie nach, wie sich das Gewicht verlagert. Was geschieht mit den festen und beweglichen Körperanteilen? Was spüren Sie? Um sich auf die Seite zu drehen, bewegt man seine Körperanteile nacheinander. Man beugt beispielsweise zuerst seine Beine und lässt sie zu einer Seite herabsinken. Das Becken hebt sich auf der anderen Seite. Der Oberkörper beginnt sich mitzudrehen. Man nimmt automatisch den oben liegenden Arm mit, wenn man sich so über die Gewichtsverlagerung auf die Seite dreht. Konnten Sie beobachten, wie über den Einsatz der festen Körperanteile Bewegungen möglich werden?
- Bewegen muss nicht viel Kraft kosten. Kinästhetik bietet kräftesparende Ideen, die im Alltag hilfreich und entlastend sein können. Die Barmer bietet unter dem Titel „Mehr Beweglichkeit erreichen“ passende Kurse für pflegende Angehörige an.