Ein alter Mann mit Rollator geht mit einem Mann mittleren Alters und einem Kind spazieren.

Eine andere Lebenswelt betreten

Im ersten Teil der Themenreihe haben Sie erfahren, dass sich bei einer Demenz die Hirnstrukturen verändern, was zunächst vor allem Auswirkungen auf das Kurzzeitgedächtnis hat. Im weiteren Verlauf der Erkrankung ist zunehmend auch das Langzeitgedächtnis von den Veränderungen betroffen.

Dort ist unter anderem unser erlerntes Wissen abgespeichert, wie die in der Jugend eingeübten Gedichte und Lieder. Auch das persönliche Lebensgedächtnis ist im Langzeitgedächtnis verankert. Es lässt sich mit einem individuellen Fotoalbum oder einem Lebenstagebuch vergleichen, in welchem persönliche Erlebnisse zeitlich sortiert und nach individueller Bedeutung aufbewahrt sind. Aus diesem Tagebuch definieren sich das „Ichbewusstsein“ oder auch die Identität und das Selbstbild.

Aber was bedeutet es, wenn man auf dieses Lebenstagebuch nicht mehr zugreifen kann?

In Erinnerungen leben

Ein altes Paar schaut Fotos an, die bunt gemischt auf dem Tisch liegen.

Bei einer fortgeschrittenen Demenz gelangen kaum noch Informationen in das Lebenstagebuch. Aktuelle Erlebnisse hinterlassen dort meist keine neuen Eintragungen. Das Selbstbild leidet darunter, denn es kann sich nicht mehr anpassen und etwa realisieren, dass man schon älter und nicht mehr „in den besten Jahren“ ist. Das „Ichbewusstsein“ verliert seine zeitliche, örtliche und situative Orientierung und findet sich im Hier und Jetzt kaum noch zurecht. Betroffene fühlen sich verloren in einer Welt, die sie nicht mehr verstehen. Angst und Unsicherheit bestimmen das Verhalten. Oftmals sind Aggressionen, Depression, Wahnvorstellungen oder Halluzinationen Zeichen dieser Problematik.

Das Lebenstagebuch als Anker

Studien haben gezeigt, dass die Anregung des persönlichen Lebensgedächtnisses hilft, sich sicher und eingebunden zu fühlen. Als Anker dienen etwa Fotoalben und Gegenstände aus längst vergangenen Zeiten. Doch es sind nicht die Erinnerungsstücke allein, die ein Gefühl von Vertrautheit erzeugen. Wichtig ist zudem eine einfühlsame Kommunikation.
Wir stellen Ihnen hier zwei Methoden vor, die das persönliche Lebensgedächtnis als Anker verwenden: Die Biografiearbeit und die Milieutherapie.

Die Lebensgeschichte einbeziehen

Ein Mann umarmt seine Frau und zeigt ihr ein Foto. Sie lächelt.

Das persönliche Lebensgedächtnis besteht nicht allein aus Bildern. Auch Gerüche, Geräusche und Gefühle können Erinnerungen an Vergangenes wieder lebendig werden lassen. Es ist schön, gemeinsame Erinnerungen nachzuerleben und die daran geknüpften positiven Gefühle wachzurufen. Dies vermittelt Sicherheit und stärkt die Orientierung.

Die Biografiearbeit verfolgt genau diesen Ansatz. Anknüpfungspunkte sind Erlebnisse, die eine Bedeutung im Lebensgedächtnis haben. Da man nicht alles aus dem Leben einer anderen Person weiß, ist es vorab sinnvoll, möglichst viele Informationen zu sammeln. So können Sie bewusst vermeiden, schmerzliche Erinnerungen, etwa an traumatische Erfahrungen, wachzurütteln. Denn diese lösen negativen Stress aus und führen häufig zu einer Verschlimmerung von Verhaltensauffälligkeiten.

Bitte klicken Sie auf die Abbildungen, um mehr zum Vorgehen zu erfahren.

Lassen Sie persönliche Erinnerungen lebendig werden. Als Stütze für das Gedächtnis können Fotos oder Gegenstände aus früheren Zeiten herangezogen werden. Fragen wie: „Weißt du noch, damals …?“ können als Einstieg dienen und zum Erzählen animieren.

Gehen Sie auf Erinnerungen an historische Lebensmomente ein. Dazu können Sie Fragen einbringen, wie „Weißt du noch, unser erster Urlaub …? Da haben wir doch großartige Abenteuer erlebt.“ Hilfreich sind hier bildreiche Dokumente, wie Postkarten, Bildbände vom besuchten Ort oder persönliche Fotos.

Wecken Sie Erinnerungen über die Sinne. Das kann ein bestimmter Geruch oder der Geschmack einer Speise sein, mit der eine schöne Erinnerung verbunden wird. Auch Musik regt die Sinne an und über ein bestimmtes Lied locken Sie Erinnerungen, etwa an ein besonderes Fest, hervor.

Über Vergangenes zu sprechen und die damit verbundenen Gefühle zu spüren, gibt Sicherheit. Nebenbei wird die Kommunikation angeregt und damit auch die sprachliche Kompetenz gefördert.

Ein Mann erklärt seiner Frau etwas zu einem Foto, das er ihr zeigt.

Wir haben hier einige Fragen zusammengestellt, die Ihnen vielleicht helfen, persönliche Erinnerungen anzusprechen.

Wir bieten Ihnen kostenlose Beratungen zum Thema Demenz durch Fachkräfte an. Die Kontaktdaten von Anbietern für eine solche individuelle häusliche Schulung geben wir Ihnen gern.

Die Umgebung anpassen

Menschen mit Demenz sehen in einem Spiegel eine für sie unbekannte Person, die nicht in die eigene Lebenswelt passt. In ihrer Vorstellung sind sie jünger, ggf. berufstätig und alle nahestehenden Personen erscheinen auch wie früher. Diese Vorstellung erleben sie so real, dass sie sich selbst im Spiegel nicht mehr erkennen. In manchen Fällen attackieren sie den Spiegel, weil die dort sichtbare Person Angst auslöst. Auch nahestehende Personen werden deshalb eventuell nicht erkannt. Auf Fotos jedoch gelingt die Zuordnung der Gesichter oftmals sofort.

Mithilfe der Milieutherapie können Angstsituationen vermieden werden. Dabei handelt es sich um ein Konzept, welches die Bedürfnisse eines Menschen nach Sicherheit und Vertrautheit anspricht. Eine Lebensumgebung, die diesem Bedürfnis nachkommt, kann ein Gefühl von Geborgenheit hervorrufen. Angebote der Milieutherapie richten sich vor allem auf die Lebensumgebung, die Tagesstruktur und eine einfühlsame Kommunikation.

Erfahren Sie nun, wie Sie die Milieutherapie anwenden und ein Gefühl der Vertrautheit übertragen können.

Altbekannte Einrichtungsgegenstände vermitteln Vertrautheit und Geborgenheit. Die Orientierung können Sie durch einen gut sichtbaren Kalender stützen. Auch eine große Uhr und altbekannte Fotos sind hilfreich.

Durch den gezielten Einsatz von Farben und Kontrasten, etwa für Türrahmen, erleichtern Sie die Orientierung in den eigenen vier Wänden. Vermeiden Sie es, gemeinsam genutzte Räume grundlegend zu verändern, da dies zu starken Irritationen führen kann.

Tipps bei nachlassender Wahrnehmungsfähigkeit:

  • Stark gemusterte Sofas und Sessel werden manchmal nicht mehr als Sitzmöbel wahrgenommen. Decken Sie diese einfach mit einem einfarbigen Bezug ab.
  • Entfernen Sie kräftig gemusterte Teppiche. Diese werden oftmals als Hindernisse angesehen und nicht betreten.
  • Setzen Sie gezielt Farben ein, etwa für die Hervorhebung eines Durchgangs. Wählen Sie dabei satte, helle Farben, die beruhigend wirken.
  • Nutzen Sie Licht, um Wege oder Sitzplätze hervorzuheben.
  • Hängen Sie Spiegel ab, vor allem, wenn Sie die oben angesprochenen Probleme beobachten. Andere spiegelnde Flächen können mit einer einfachen Folie bedeckt werden. Diese erhalten Sie im Baumarkt.
  • Beschildern Sie Türen mit Symbolen, etwa für das Bad.
  • Bringen Sie an Schränken Symbole oder Fotos an, die auf den Schrankinhalt verweisen.
  • Lüften Sie die Räume regelmäßig, denn unangenehme Gerüche können das Wohlbefinden negativ beeinflussen.
  • Fernsehen oder Radiohören trägt für manche Menschen zur Wohlfühlatmosphäre bei, bei anderen irritiert es und löst so Stress aus. Beobachten Sie die Wirkung und schalten Sie die Geräte gegebenenfalls aus.

Täglich wiederkehrende Ereignisse wie das gemeinsame Frühstück oder eine Erinnerungsstunde geben dem Tag Struktur. Auch kleine Rituale, wie der tägliche Blick auf den Kalender können dazugehören. Dabei kann gerade das gemeinsame Erledigen einer Aufgabe Halt und Vertrautheit vermitteln. Einfache Tätigkeiten können durchaus allein erledigt werden. Das stärkt das Selbstvertrauen und vermittelt das Gefühl, gebraucht zu werden.

Tipps für die Gestaltung des Alltags:

  • Sprechen Sie morgens über anstehende Termine des Tages, wie einen Ausflug oder Arztbesuch. Verknüpfen Sie dies mit einem gezielten Blick auf den Kalender.
  • Entwickeln Sie möglichst gemeinsam einen Tages- und Wochenplan mit festen Terminen.
  • Notieren Sie gemeinsam auf einer Liste, welche Aufgaben der Tag bereithält.
  • Nutzen Sie täglich wiederkehrende Ereignisse wie die Mahlzeiten, um Vertrautheit zu vermitteln. Tischdecken oder Gemüse schneiden können Sie gut delegieren.
  • Richten Sie für ruhelose Momente einen Bereich her, der zum Kramen und Räumen einlädt. Das kann eine Schublade mit allerlei Sachen sein oder eine Tasche, die durchstöbert werden kann.
  • Führen Sie eine tägliche Mittagspause ein. Diese kann zu einer Zeit werden, die Sie für eigene Aktivitäten oder eine Pause nutzen.
  • Planen Sie bei Bewegungsdrang einen täglichen Spaziergang. Sie können diesen Ausflug mit einer kleinen Picknick-Pause verbinden.
  • Bei dem Besuch einer Tagespflegeeinrichtung ist es hilfreich, einzuüben, welche Vorbereitungen zu treffen sind.

Über die Kommunikation können Sie Wertschätzung zeigen und Vertrauen geben. Nehmen Sie alle Äußerungen und Verhaltensweisen ernst. Machen Sie deutlich, dass Sie Verständnis haben, Wünsche erkennen und die Gefühle nachvollziehen können.

Tipps zur Kommunikation:

  • Schauen Sie einander an, wenn Sie miteinander sprechen. Manchmal hilft zusätzlich eine Berührung, um ein Gespräch zu beginnen.
  • Stellen Sie konkrete Fragen, die eine einfache Antwort zulassen. „Möchtest du eine Tasse Kaffee trinken?“ ist einfacher zu beantworten als „Was möchtest du trinken?“.
  • Sprechen Sie das Gefühl hinter einer Äußerung an. „Ich habe das Gefühl, dich ängstigt …“. So zeigen Sie Verständnis und die Bereitschaft, auf eine Äußerung einzugehen.
  • Vermeiden Sie Konfrontationen. Verlassen Sie für einen Moment die Situation, wenn Sie etwas Abstand brauchen.
  • Reduzieren Sie Hintergrundgeräusche, wie das Radio. Ohne solche Geräusche ist es einfacher, sich zu unterhalten.

Beschäftigungen begleiten

Beschäftigungen sollten weder über- noch unterfordern, einfachen Bewegungsmustern folgen und gleichzeitig Freude bereiten. Beschäftigungen sind wichtige Anker, denn sie geben dem Tag eine Struktur, vor allem wenn sie immer zu einem ähnlichen Zeitpunkt verrichtet werden. Sie fördern das Gefühl der Zuversicht und steigern das Selbstwertgefühl.

Es gibt verschiedene Aktivitäten, die Sie als Beschäftigung in die Tages- oder Wochenplanung aufnehmen können. Wählen Sie Tätigkeiten aus, die das Interesse wecken. Gab es früher Lieblingsbeschäftigungen, berufliche Tätigkeiten oder Hobbys, die Freude bereiteten?

Eine alte Frau klammert ein Wäschestück an der Wäscheleine fest.

Beispiele für Aufgaben

  • Wäsche abhängen und zusammenlegen
  • Wege oder Räume ausfegen
  • Schuhe putzen
  • Besteckschublade räumen
  • Tisch decken
  • Gemüse schneiden
  • Blumen pflanzen
  • Nähen, Schleifen, Schrauben
Ein Mann im mittleren Alter spielt auf einer Gitarre.

Beispiele für Aktivitäten

  • Einen alten Film anschauen
  • Bilder anschauen
  • Ein Spiel spielen (Mensch ärgere dich nicht)
  • Basteln, Malen, Zeichnen
  • Musik hören
  • Spaziergang mit Picknick-Pause
  • Lieder singen und gemeinsam schunkeln
  • Gymnastik (sitzende Übungen)
  • Tanzen
  • Ausflug

Auf der Webseite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. gibt es einen Hinweis zur kostenlosen App „Alzheimer & YOU – den Alltag aktiv gestalten“ mit Anregungen zur Alltagsgestaltung mit Menschen mit Demenz.