Herausfordernde Situationen meistern
Damit herausfordernde Situationen und Konflikte nicht eskalieren, ist es hilfreich, ein Gespür für die eigene Stimmung und für Ihr Gegenüber zu entwickeln. Wir zeigen Ihnen einfache Techniken, mit denen Sie angespannte Situationen entschärfen können.
Kennen Sie Ihre Warnsignale?
Lautes Schmatzen, Müllgeruch oder Termindruck? Sicher wissen Sie schon, was Sie auf die Palme bringt. Viele Ärgernisse im Alltagsgeschehen können wir kompensieren. Was aber, wenn die Probleme größer sind oder das Gegengewicht fehlt? Dann drohen Überforderung, Erschöpfung und Frustration. Dies kann zu Grenzüberschreitungen führen. Achten Sie auf Ihre persönlichen Stressanzeichen, damit es nicht so weit kommt.
Hilfreiche Anregungen zur Entlastung für pflegende Angehörige erhalten Sie im Pflegecoach-Themenbereich „Ich bleiben“.
Warum ist mein Gegenüber so schwierig?
Versuchen Sie, die Ursache für herausforderndes Verhalten zu finden. Betrachten Sie Beleidigungen oder Aggressionen ganz nüchtern als hilflose Kommunikationsversuche. Dies ist ein konstruktiver Ansatz, der zur Frage führt: „Was willst du mir damit sagen?“. Oft steckt eine Botschaft hinter herausforderndem Verhalten, etwa: „Ich will das nicht“, „Ich habe Angst“ oder „Ich brauche jetzt Ruhe“.
Notieren Sie, in welchen Momenten es zu Konflikten kam. Schauen Sie immer mal wieder in diese Aufzeichnungen. Mit der Zeit erkennen Sie eventuell typische Anlässe oder Situationen, für die es eine Lösung braucht.
Wege zur Entlastung finden
Ein strukturierter Tagesablauf, sinnstiftende Beschäftigungen und soziale Kontakte helfen, eine positive Atmosphäre zu schaffen. Nicht zuletzt ist es wichtig, nach Möglichkeit immer wieder miteinander zu kommunizieren, damit Konflikte nicht wochenlang schwelen.
Auch wenn es angesichts enormer Belastungen zynisch erscheint, an Freizeit zu denken – suchen Sie immer wieder nach Möglichkeiten zur Entlastung. Nur so können Sie langfristig mit ausreichender Energie unterstützen.
Eine wertschätzende, nicht urteilende Sprache kann zu einer entspannten Atmosphäre beitragen. Schauen Sie sich die Formulierungen unten an. Was fällt Ihnen auf?
Trennende Sprache
- Es gibt Essen. Setz Dich jetzt endlich an den Tisch! Andere Menschen sind auch krank und stellen sich nicht so an.
- Jetzt hör mal auf zu jammern! Duschen muss sein. Ich weiß ja wohl, was gut für dich ist.
- Reiß dich zusammen! So schlimm kann es doch nicht sein, einen Pulli anzuziehen. Sonst frierst du wieder.
Verbindende Sprache
- Es gibt Essen. Komm, setz Dich zu mir. Oder gibt es noch etwas, das Du vorher erledigen möchtest?
- Ich weiß, das Duschen ist sehr anstrengend für Dich. Aber beim letzten Mal hast du es toll gemacht. Wir schaffen das schon zusammen.
- Klappt es heute nicht, den Arm hochzuheben? Weißt Du was? Wir lassen das mit dem Pulli. Deine Strickjacke ist doch auch schön.
Mit Worten für angenehme Vorstellungen sorgen
Mit Ihrem Wortschatz können Sie beeinflussen, welche inneren Bilder Ihre Äußerungen hervorrufen. Der Satz „Du musst jetzt mal etwas essen.“ könnte unangenehme Assoziationen von Pflicht („muss“, „jetzt“) hervorrufen. Geeigneter wären Worte, die etwas Positives vermitteln: „Hättest du Lust auf ein leckeres Mittagessen?“. Ein entspannter, ruhiger Tonfall hilft zusätzlich.
Bevor die Stimmung kippt
Die folgenden Techniken können Ihnen dabei helfen, eine drohende Eskalation abzuwenden.
Klicken Sie die Karten an, um mehr zu erfahren.
Darf ich mich bei einem körperlichen Angriff wehren?
Ja, dabei dürfen Sie aber nur das mildeste Mittel wählen, um die Gefahr abzuwehren. Das Ziel ist der Selbstschutz. Wenn eine Person etwa nach Ihnen schlägt, dürfen Sie die Arme festhalten und dann Abstand aufbauen. Es wäre nicht angemessen, zu einem Gegenangriff anzusetzen oder durch Schimpfworte die Gewalt fortzusetzen.
Sofortmaßnahmen wenn die Wut ansteigt
Schaffen Sie eine räumliche Distanz. Verlassen Sie nach Möglichkeit den Raum, damit sich Ihre Gefühlslage verbessern kann. Sie können sich dann ablenken, etwa indem Sie eine befreundete Person anrufen, aus dem Fenster schauen oder ein paar Schritte gehen.
Starke Reize können ebenfalls dabei helfen, negative Gefühle zu überwinden. Schlagen Sie auf ein Kissen, lassen Sie kaltes Wasser über Ihre Handgelenke laufen oder essen Sie ein sehr scharfes Bonbon.
Weitere Tipps finden Sie auch auf der Webseite pflegen-und-leben.de
Distanzierung kann helfen
Dr. Jana Toppe erzählt von hilfreichen Maßnahmen, die sie pflegenden Angehörigen in ihrer Beratungsstelle vermittelt.
Frau Dr. Toppe erläutert im Video:
„Sowas kann man ja auch in einer angespannten Situation kommunizieren. Ich kann sagen: ,Ich merke gerade, mir geht es jetzt nicht gut. Ich werde jetzt nervös. Ich werde angespannt. Ich brauche eine Pause. Ich gehe mal eben raus. Ich bleibe bei mir.' Ich sage nicht: ,Du gehst mir auf den Geist. Du bist anstrengend. Du fängst dir gleich eine', sondern ich verlasse den Raum. Und damit habe ich die Möglichkeit, mich erst mal runterzufahren. Und das ist ganz gleich, von wem gerade die Aggression ausgehen würde.
Ich kann den Raum verlassen und kann einfach auch mal ruhig ein- und ausatmen. Ich kann im Zweifelsfall einfach mal von zehn rückwärts langsam runterzählen und einfach das Nervensystem sich kurz beruhigen lassen.
Ich kann ruhig sprechen, klare Worte benutzen, eine Distanz wahren. Also jetzt angenommen, die Aggression geht von meinem Gegenüber aus. Ich merke, da passiert was. Gehe ich jetzt nicht näher ran, versuche nicht, die Person zu beruhigen.
Ich finde es auch wichtig, das zu benennen in der Situation. Eben auch ruhig und klar zu sagen zum Beispiel: ,Ich kann dir jetzt nicht helfen, wenn du mich anschreist.' Oder auch zu sagen: ,Okay, ich gehe einmal raus, ich brauche eine Pause. Ich sehe, die Stimmung ist schlecht.' Also das ist auch wirklich zu benennen, ganz klar. Und eben nicht mit zum Beispiel mit Sarkasmus oder Ironie zu antworten und zu sagen: ,Ja, war ja klar, dass du wieder schlecht drauf bist', sondern eben möglichst einfach diese Situation erstmal zu entschärfen. Und manchmal ist es eben so, manchmal muss man die auch schnell erst nochmal verlassen.
Und es gibt Übungen. Es gibt einfach dauerangespannte Situationen. Es gibt Situationen, in die tritt man ein und es ist von vornherein, es werden Vorwürfe gemacht, es wird provoziert und da kann man die Uhr nachstellen. Und da gibt es auch Distanzierungstechniken für.
Jetzt zähle ich von zehn runter und lass einfach diese Gefühle auch einmal durch mich durchlaufen. Wir können sie ja nicht unterdrücken. So eine Wut ist ja da. Ich kann sie aber anerkennen und sagen: ,Okay, ich bin gerade total wütend. Das geht auch wieder vorbei.' Also eben nicht das Aushalten. Und in dieser Stimmung dann in die Pflegesituation zu gehen, sondern sich auch diesen Moment zu geben, um mal kurz runterzukommen und auch anzuerkennen vielleicht, es ist auch gerade schwer.
Es gibt auch noch eine schöne Übung, in der man sich vorstellt, man würde vorher eine Rüstung anziehen, bevor man in den Raum geht. Da kann man sich ganz genau ausmalen, wie ist die beschaffen, ist das eine Ritterrüstung, ist das ein besonderes Material, hat die besondere Farben. Das ist ganz individuell. Die ziehe ich an, daran prallt alles ab. Das ist mein Schutz. Dann gehe ich in die Situation rein, mach, was auch immer ich machen muss, gehe raus und ziehe die Rüstung aus und habe damit dann auch diese ganzen Vorwürfe und den ganzen Stress abgelegt.
Das ist ein bisschen wie manche Menschen in sozialen Berufen, die oft so Konfliktsettings haben, Arbeitskleidung haben, die sie dann zu Hause komplett ablegen, in die Wäsche tun, duschen und dann ist alles weg. Es sind sehr symbolische Akte, die aber in meiner Erfahrung sehr sehr hilfreich sind.
Und ich finde, man muss auch ein bisschen in die eigene Fantasie dazu einsteigen und das auch zulassen. Das ist nicht immer einfach. Wenn man sehr belastet ist, neigt man manchmal auch zum Zynismus. Und das dann so wieder zuzulassen und zu entdecken ist manchmal auch eine Herausforderung, aber ich finde es kann sehr lohnenswert sein.
Es ist auf jeden Fall ein Erfolgserlebnis und was ich in dem Moment zurückbekomme, ist die Handlungsfähigkeit. Und dieses Gefühl der Handlungsfähigkeit ist für uns ganz wichtig. Wenn wir das Gefühl haben, wir haben in einer Situation keine Fähigkeiten mehr zu handeln oder irgendwas zu kontrollieren, dann ist das für uns ganz schwierig und das kann uns auch sehr krankmachen. Und so ein Erfolgserlebnis ist ganz wichtig, um diese Handlungsfähigkeit wieder herzustellen. Ich bin dem nicht ausgeliefert, das ist ganz wichtig.
Ich finde es generell unglaublich wichtig zu betonen, dass es für Gewalt ja keine Legitimation gibt. Es kann vorkommen, aber das heißt nicht, dass das gut ist oder dass es vorkommen sollte oder dass es die Regel ist. Das heißt, es gilt es ja zu vermeiden.
Wir sprechen ja von Prävention. Wir sprechen davon, dass wir versuchen müssen, dass so was eben nicht passiert. Und es gibt sehr viele Situationen, in denen wir dann auch wirklich von Gefahr für Leib und Leben sprechen. Und das muss niemand aushalten. In dem Moment muss ich mich aus der Situation entfernen und muss im Zweifelsfall vielleicht auch die Polizei rufen, je nachdem, was es für eine Situation ist. Wenn ich mich gefährdet fühle.
Ich muss eventuell auch Hilfe von außen annehmen. Es gibt ja auch Krisentelefone, die man anrufen kann, wenn ich mich selber stark belastet fühle und merke, ich habe zum Beispiel Suizidabsichten. Das äußern Menschen bei uns manchmal auch, die lange Gewalt ausgesetzt sind. Das kann auch eine Folge sein. Und im Notfall ist es absolut wichtig, sich aus der Situation zurückzuziehen. Es ist absolut wichtig, da Sicherheitsmaßnahmen auch zu haben. Den Notruf. Manche Pflegende haben auch so einen Alarmknopf, den sie drücken können. Das ist unerlässlich.
Die Grenze ist erreicht, wenn es darum geht, dass ich Gefahr für Leib und Leben verzeichne. Das heißt, es ist völlig in Ordnung, das ist auch absolut wichtig, dann die Polizei einzuschalten, sich auch Hilfe zu holen, damit ich eben nicht diese Situation aushalten muss. Ich muss so eine Situation verlassen. Ich muss dafür sorgen, dass ich in Sicherheit bin.
In Notfällen geht es auch nicht mehr darum, dass ich mich hinstelle und von zehn runterzähle, dass ich tief durchatme, sondern wenn es wirklich gefährlich wird. Entweder jemand bedroht mich. Es ist für mich von außen gefährlich. Oder auch ich merke, ich laufe Gefahr, mir etwas anzutun. Ich bin zu überlastet. Es häufen sich die Suizidgedanken. In dem Moment brauche ich Hilfe und da muss ich mir Hilfe holen. Das ist ganz wichtig. Da geht es dann nicht mehr darum, Strategien zur Deeskalation anzuwenden. Da brauche ich einfach Hilfe."
Sie geraten an Ihre Grenzen und brauchen Hilfe? Werden Sie frühzeitig aktiv, da Beratungstermine und Maßnahmen zu Ihrer Entlastung oft mit Wartezeiten einhergehen. Manche Leistungen müssen zudem erst beantragt und genehmigt werden.