Das griechische Wort „Krise“ bedeutet Wendepunkt. Die Pflege Angehöriger ist ein solcher Wendepunkt im Leben. In diesem Kapitel geht es um die Verarbeitung von Krisen im Leben.
Die Lebensspirale der Krisenbewältigung
Eine nahestehende Person verliert Fähigkeiten, verändert sich zusehends, und alte Gewohnheiten und Routinen verschwinden. Wie gehen Menschen mit Krisensituationen um? Professorin Erika Schuchardt ging dieser Frage nach und entwickelte die „Lebensspirale der Krisenbewältigung“. Sie zeigt, welche Phasen Menschen bei der Bewältigung einer Krise durchlaufen. Die Erkenntnisse können häuslich Pflegenden dabei helfen, ihre eigenen Gefühle und Gedanken in einer Krisensituation besser einzuordnen.
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Solidarität
„Ich kenne andere pflegende Angehörige, wir tauschen und aus und unterstützen uns gegenseitig.“
Aktivität:
„Ich hole mir jetzt Hilfe, lasse mich beraten und setze die Tipps um.“
Annahme:
„Es ist wie es ist. Ich lerne, damit umzugehen.“
Depression:
„Es wird nicht besser, wozu strenge ich mich überhaupt an? Es hilft ja doch nichts.“
Verhandlung:
„Wenn mein Bruder unterstützen könnte, würde es vielleicht gehen.“
Aggression:
„Warum trifft es ausgerechnet mich? Ich habe mir mein Leben irgendwie anders vorgestellt. Das brauche ich jetzt nicht wirklich.“
Gewissheit:
„Jetzt haben wir die Diagnose bekommen. Ich verstehe zwar, warum meine Mutter sich so verhält. Aber eigentlich kann das doch nicht sein.“
Ungewissheit:
„Irgendetwas stimmt doch nicht mit meiner Mutter. Ich verstehe ihr Verhalten nicht. Hoffentlich ist es nichts Ernsthaftes.“
- Die genannten Phasen müssen nicht in Reinform auftreten, sondern können ineinander übergehen oder nebeneinander bestehen. Es ist auch möglich, dass Betroffene zwischen Phasen hin- und herspringen. Wie lange eine Phase anhält, ist höchst individuell.
Haben Sie schon eine Vermutung, in welcher Phase Sie sich befinden? Die Überwindung einer Krise braucht Zeit und liebevolle Geduld. Machen Sie sich keine Vorwürfe, wenn Sie längere Zeit in einer Phase verweilen. Nutzen Sie Beratungsangebote, wenn Sie das Gefühl haben, allein nicht weiterzukommen. Konzentrieren Sie sich bei der Krisenbewältigung auf Ihre derzeitige Phase und durchleben Sie diese ganz bewusst. Akzeptieren Sie, wenn eine Phase länger anhält.
Unserer Erfahrung nach sind mit jeder Phase eigene Entwicklungsprozesse und Gedankengänge verbunden. Wer etwa nicht akzeptiert, dass eine Erkrankung das Leben völlig verändert hat (Phase 6: Annahme), ist weniger empfänglich für unterstützende Angebote zur Lebensveränderung, die in der siebten Phase (Aktivität) eine Rolle spielen. Daher ist es sehr hilfreich, bei der Selbsteinschätzung ehrlich gegenüber sich selbst zu sein.
In der Regel können pflegende Angehörige Beratungs- und Hilfsangebote oftmals nur annehmen, wenn diese speziell auf die jeweilige Phase zugeschnitten sind. Im Idealfall besteht also eine Übereinstimmung zwischen der aktuellen Phase und dem Angebot. Bei einer fehlenden Passung können Angebote unter Umständen nicht hilfreich sein. Die pflegenden Angehörigen fühlen sich dann möglicherweise falsch verstanden und reagieren gereizt.
Doris A. (58 Jahre)
Der Schlaganfall meiner Mutter war ein Schock. Zuerst dachte ich noch, es wird schon alles wieder. Es hat ganz schön lange gedauert, bis ich akzeptieren konnte, dass nichts mehr sein wird wie früher. Ich war verzweifelt und wütend, weil wir doch ganz andere Pläne hatten. Mittlerweile gestalte ich mein Leben neu und nehme die aktuelle Situation an.